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Kultursalon

Die große Zeit der französischen Salons ist das 18. Jahrhundert gewesen. In Deutschland entstand erst später, in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine nennenswerte Salonkultur.
Zur selben Zeit brach Napoleon die Grenzen des alten Europa auf; Preußen und Österreich befanden sich in einer Krise. Im Frankreich der Aufklärung befassten sich die Salons vorwiegend mit politischen Themen, die Enzyklopädisten gingen in Salons und bereiteten die bürgerliche Revolution vor. In Deutschland dagegen wurden literarische und philosophische Werke und Gedanken der Romantik Gegenstand von Gesprächen. Nur gelegentlich wurden Ideen des Vormärz reflektiert.

Doris Maurer hat in einem Vortrag „Frauen und Salonkultur – literarische Salons vom 17. bis zum 20. Jahrhundert“ eine schöne Definition des Salons zitiert:
„Im weitesten Sinne stellt der Salon eine zweckfreie, zwanglose Geselligkeitsform dar, deren Kristallisationspunkt eine Frau bildet. Die Gäste, die sich regelmäßig und ohne besondere Aufforderung zu einem jour fixe einfinden, die so genannten habitués, pflegen miteinander einen freundlichen Umgang. Sie gehören verschiedenen Gesellschaftsschichten und Lebenskreisen an. Die Konversation über literarische, philosophische oder politische Themen verbindet sie – Konversation als eine erlesene Kunst der Geselligkeit, aber keineswegs nur auf l’art pour l’art-Inhalte bezogen und vom jeweiligen Zeitgeist und den sich daraus ergebenden Fragen nicht zu trennen.“
In der sozialwissenschaftlichen Sprache von Antje Eske hört sich das so an:
„Salons waren Katalysatoren für den Übergang von schichtenspezifischer zu funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung, denn hier verlor der ‚Geburtsadel’, indem er sich mit dem ‚Geistesadel’ mischte, seine herausragende Stellung, wobei mit der französischen Revolution die Salons in ihrem Aspekt als Pendant zur höfischen Kultur überflüssig wurden. …“
Für die Entstehung der Salons war neben den wirtschaftlichen Möglichkeiten,
einen Salon zu führen, eine, nein, die Frau als Kristallisationspunkt wichtig, die salonière.

Wer waren diese salonières? Vertraut sind uns die Namen von Rahel Varnhagen van Este und Henriette Hertz. Sie führten Salons in Berlin, die von Wilhelm von Humboldt, August Wilhelm Schlegel, E. T. A. Hoffmann und zahlreichen anderen herausragenden Persönlichkeiten besucht wurden. Während Varnhagen und Hertz eher Literatur und Theater thematisierten, waren bei Bettine von Arnim die Themen politischer, sie führte einen typischen Vormärz-Salon.
In Weimar führten die Herzogin Anna Amalia und Johanna Schopenhauer Salons. Zur „Freitagsgesellschaft“ gingen die berühmten Gelehrten und Dichter Weimars und natürlich auch Goethe. – Viele Namen wären noch zu nennen: Karoline Pichler in Wien, auch die selbstbewusste Fanny Lewald.
Im beginnenden 20. Jahrhundert versammelte die Pazifistin Berta Zuckerkandl in Wien u. a. Egon Friedell und Karl Kraus um sich. Der Bloomsbury-Kreis in Großbritannien wurde von Virginia Woolf und Geschwistern geführt.

Seit kurzem wird von einer Renaissance der Salons auch und gerade in Berlin gesprochen. Doch vergleichbar sind diese Salons mit den Salons der Zeit von 1700 bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nicht: Wer sich die Homepages der Berliner Salons ansieht, wird schnell feststellen, dass die meisten Salons stark professionalisiert sind. Perfektes Sponsoring, peinlich genaue Planung, Spontaneität ist eher weniger gefragt. Dies gilt sowohl was die Vorbereitung und Durchführung der Salons als auch die Finanzierung betrifft: es gilt wohl auch in der Zielsetzung. Die heutigen Berliner Salons sind überwiegend wohl organisierte Diskussionsveranstaltungen auf meist hohem Niveau.

Im Vergleich dazu wirkt unser Kasseler Kultursalon privat, heimisch und spontan. Schon die Veranstaltungsorte strahlen diese Privatheit aus. Die ehemalige Villa Süssmuth, Wohn- und Werkstätte der beiden Künstlerinnen Gabriele Hafermaas und Rosa Reichenbach, ist ein schöner, verwilderter Ort mit der Aura der ehemaligen Glasherstellung. Auch die Naumburger Straße ist ein privater Ort: Man denke nur an den Flügel, die ausgeräumten Wohnräume und die zur Raucherecke umfunktionierte Küche.
Privat, selbst organisiert, also ehrenamtlich, sind auch die Organisation und die Einladungen. Das Zuhause wird zum halb-öffentlichen Raum. Die Ansprüche dieses Kultursalons sind dennoch nicht eben bescheiden. Verantwortliche aus der Kulturpolitik, eine Filmproduzentin, Bildende KünstlerInnen, GrafikerInnen, SängerInnen, SchauspielerInnen, KomponistInnen, Stadtplaner und viele mehr geben sich und den geladenen Gästen hier die Hand. Ein ungezwungener Austausch untereinander ist immer möglich.

Der Kasseler Kultursalon ist uns lieb geworden. Die Mischung der Themen und Ereignisse, diese unaufdringliche und unbemühte Freundlichkeit der Präsentation, der Unterhaltung und der Bewirtung: Das ist unkommerzielle Salonkultur von heute. Insofern lassen sich Parallelen eher zu den früheren Salons als zu den heutigen herstellen.
Freilich gibt es nicht mehr die salonière. Und dennoch scheint der Kultursalon eine besondere Anziehungskraft auf Frauen auszuüben. Auch im Kasseler Kultursalon spielen sie die 1. Geige. Renate Matthei, Cornelia Schäffer, Waltraud Wesselmann und Dr. Eva Schulz-Jander sind hier als Veranstalterinnen an erster Stelle zu nennen. Es sind Damen, „deren Witz und Geist als Magnet wirken: das können wir unbedingt bestätigen. Sie stiften eine kultivierte Atmosphäre, in die eine leicht erotische Note einfließt“.
Zu nennen ist freilich auch Herr Fecke, der im Hintergrund mitspielt und dafür sorgt, dass die Emanzipation der Männer vorankommt. Gemeinsam erzeugen sie alle seelisches Behagen wie geistige Bewegung. So soll es bleiben!

Wolfram Bremeier